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Der Anfang vom Ende
Der Anfang vom Ende
Der Anfang vom Ende
Die ersten Konzentrationslager Thüringens standen in Nohra und Bad Sulza
Von Sabine Brandt
Als Udo Wohlfeld begann, Moosschichten von einer Geschichte zu kratzen, die mehr als 60 Jahre zurück liegt, war nicht auszuschließen, dass er auf Figuren stoßen würde, die wieder einmal nichts gesehen und nichts gehört hatten und die demzufolge auch nichts auszusagen hatten. Genau so eine Geschichte war das, die Wohlfeld freilegen wollte, Es ging ihm um die ersten Jahre im Dritten Reich, um die ersten Ausgeburten, mit denen Hitlers Wahn noch hundertfach niederkommen sollte: die ersten Konzentrationslager. Es ging also um nichts weniger als um dem Anfang vom Ende.
Und tatsächlich hatte kaum eine Menschenseele, die Wohlfeid befragte, etwas gesehen, gehört oder gar zu sagen gehabt. Aber dieses Mal lag dem großen Nichts-Wissen weder der übliche Trotz zugrunde, den der Nationalsozialismus in etlichen seiner Zeitzeugen hervorruft, noch das dringende VergessenWollen. Es war einfach kaum etwas übrig, das tiefere Erkenntnisse über die vergessenen Konzentrationslager Nohra bei Weimar und Bad Sulza geben konnte. Es hatte bis dato auch kaum jemand danach gesucht. Die Hinterlassenschaften der beiden Einrichtungen sind so mager, dass mittlerweile ein auffallend unbekümmerter Umgang mit ihren Spuren gepflegt wird. In der Bad Sulzaer Immobilie, die einmal Konzentrationslager war, sind heute Aussiedlerfamilien untergebracht. Und an dem Gelände, auf dem einst das Internierungslager Nohra lag, doktern seit Jahren Investoren herum mit ihren Bemühungen, einen Erholungspark herzurichten.
Udo Wohlfeld besaß nichts als ein paar Andeutungen, die er irgendwann in anderen Zusammenhängen aufgelesen hatte. Die Zeit hatte nur Brosamen von diesem Segment ihrer Vergangenheit übrig gelassen. Aber vier Augen sehen mehr als zwei, und es fanden sich alsbald Menschen, die genau wie Wohlfeld bereits genauer hingesehen hatten, was die letzten 60 Jahre übrig gelassen haben von den Einrichtungen Nohra und Bad Sulza, etwa die Pfarrerin Barbara Schlenker. So kam es zur Gründung der Geschichtswerkstatt Weimar/Apolda. Gemeinsam las man auf, was man finden konnte, und verdichtete die Funde zu einer Ausstellung. Von morgen an wird sie in der Gedenkstätte Buchenwald im Keller des ehemaligen Desinfektionsgebäudes zu sehen sein.
Nach dem Reichtstagsbrand im Februar '33 ging die Hatz der Nationalsozialisten auf deutsche Kommunisten los. Innerhalb weniger Tage waren so viele von ihnen in "Schutzhaft" genommen worden, dass die Gefängnisse nicht mehr ausreichten. Das bis über die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit überfüllte Weimarer Landgerichtsgefängnis war es wohl, das das erste Außenlager in Nohra erforderlich machte, vermutet Wohlfeld.
Der Standort bot sich an. Auf dem alten Flugplatzgelände gab es noch einen Gebäudekomplex, der von den Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vetrags verschont geblieben war. Eingenistet hatten sich darin mit dem Verein Heimatschule Mitteldeutschland, einem Wehrlager für Jugendliche und später dem "Freiwilligen Arbeitsdienst" Organisationen, deren Ideologie hinreichend völkisch und nationalistisch war, dass man ihnen eine Knastfiliale voller Kommunisten anvertrauen konnte.
"Die Schule war im Geiste eindeutig nationalsozialistisch", meint Wohlfeld. Etliche ihrer Schüler, zumeist Jugendliche, die weder Arbeit noch Lehre fanden, machten später Karriere als Polizeihelfer. In dem knappen halben Jahr seines Bestehens durchliefen wahrscheinlich 260 Kommunisten und Sozialdemokraten, darunter vier Landtagsabgeordnete der KPD, das Nohraer Lager. Die meisten sind aus der Schutzhaft" alsbald wieder entlassen worden. 16 Personen aber tauchten im 33er Sommer wieder in den Listen einer ganz neuen Einrichtung auf: dem KZ von Bad Sulza.
Jenseits der Bahnlinie, am Waldrand unterhalb von Bergsulza, stehen heute noch die Reste des Baus, der bis 1937 vermutlich das erste Konzentrationslager Thüringens gewesen ist - so wenigstens liest es sich von einer kleinen Gedenktafel ab, die sich hinter Wacholdergesträuch versteckt. Eine Handvoll Kinder spielt unter den Wäscheleinen Kriegen. Von früher weiß hier keiner was. Vielleicht ist das das Beste. Womöglich würden Details
nur Kurgäste abhalten, das beschauliche Städtchen zu besuchen - Gäste sind sensibel ... Das waren sie auch schon in den 30er Jahren. Damals wurden die Internierten zu Pflasterarbeiten in der Stadt und in den Parkanlagen eingesetzt. Die Pflasterblöcke aus Granitbruch stellten die Häftlinge im nahen Steinbruch selbst her. Uber den Anblick der Sklavenarbeiter aber echauffierten sich die Kurgäste, das Idyll war gestört. Deswegen sollen die Einsätze in die Zeit zwischen Morgengrauen und Sonnenaufgang verlegt worden sein. So ging es vier Jahre lang, bis das KZ von Bad Sulza 1937 aufgelöst wurde. 110 Häftlinge überführte man in das Lager von Lichtenburg bei Torgau. Das Lichtenburger KZ war neben dem von Sachsenhausen das Lager, aus dem '37 die ersten Häftlinge auf den Ettersberg verschleppt worden waren.

"Lebensläufe hinter Stacheldraht - Konzentrationslager in Thüringen 1933-1937" bis 17. September, Di-So 9.45-17.15 Uhr, "Desinfektionsgebäude".

Bildunterschriften:
Udo Wohlfeld gehört zur Geschichtswerkstatt Weimar/Apolda, die sich näher mit den Internierungs- bzw. Konzentrationslagern in Nohra und in Bad Sulza beschäftigten. Zaghaft weist eine überwucherte Tafel (1.) auf die Sulzaer Vergangenheit hin. Fotos (3): Brandt

Wehrhaft umfriedet ist das Areal noch heute. Bis 1937 existierte in diesem Bau in Bad Sulza das erste KZ Thüringens. 1945 brannte er zum Teil ab, später wurde er wieder aufgebaut.

Die historische Luftbildaufnahme zeigt den Gebäudekomplex auf dem ehemaligen Flugplatz Nohra, in dem 1933 die ersten Kommunisten interniert wurden. Der Bau existiert heute nicht mehr.
Quelle: Thüringer Landeszeitung vom 29.07.2000298 Mal gelesen seit 20.11.2023